zurück zur Eingangsseite

zurück zum Inhaltsverzeichnis  
   
der Magisterarbeit

 

ZUR ANWENDBARKEIT DES CODIERBOGENS

5.2  EXEMPLARISCHE ANALYSE: TEIL II

Auch hier fungierte die Stopptaste des Videorecorders als eine Art Zufallsgenerator zur Auswahl der nachrichtlichen Filmberichte. Die am häufigsten genannten Ereignisse in den Fernsehnachrichten vom 25. Januar 2000 waren:

  • die Nichtauflösung des Hessischen Landtages

  • die sich anbahnenden Koalitionsgespräche in Österreich

Die zufällige Wahl fiel auf das letztgenannte Thema. Über die Koalitionsgespräche berichteten „heute" (ZDF), „heute- journal" (ZDF), „Pro 7- nachrichten" (PRO 7), und die „tagesthemen" (ARD). Ferner wurde in das Untersuchungssample der SAT 1- Beitrag (18:30 nachrichten) vom 26. Januar 2000 aufgenommen, der ebenfalls die sich abzeichnende Koalition von ÖVP und FPÖ zum Anlass der Berichterstattung nimmt. Im Anschluss soll die vergleichende Analyse durchführt werden.

Die Beiträge wurden transkribiert, analysiert und sind unter Abschnitt 6.2 (bzw. in der Originalausgabe der Magisterarbeit an der Ruhr Uni Bochum) nachzulesen. Die dabei gemachten Erfahrungen sind im nachfolgenden Fazit festgehalten.

 

ZUR ANWENDBARKEIT DES CODIERBOGENS

5.2.1  Fazit der exemplarischen Analyse: Teil II

Vor der endgültigen Bewertung des Codierbogens, seien zunächst die Beobachtungen und Erfahrungen, die die Autorin der Arbeit bei der qualitativen Analyse der einzelnen Filmberichte machte, wiedergegeben. Dabei werden zunächst die beiden dreiminütigen Beiträge (ausgestrahlt in den „tagesthemen" & „heute journal") diskutiert, um dann mit den Beiträgen, die im 90 Sekunden- Bereich angesiedelt sind, fortzufahren. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick darüber, welche Punktzahl die einzelnen Beiträge in den vier Dimensionen erzielten.

Ereichte Punkte in den Dimensionen

Tagesthemen

Heute journal

heute

Pro 7
nachrichten

SAT 1
18:30
nachrichten

Aktualität

4 4 4 4 4

Richtigkeit

18 18 17 7 17

Relevanz

9 9 7 9 9

Vermittlung

16 10 10 14 12

Gesamtpunkzahl

47 41 38 34 42

Detlef Kleinert/ „tagesthemen": 

Insgesamt erreichte dieser Beitrag mit 47 Punkten die höchste Punktzahl aller fünf untersuchten Beiträge. Zur Bewertung der Aktualität lässt sich Folgendes sagen: Wie in allen anderen Beiträgen nennt Kleinert den genauen Zeitpunkt des Geschehens. Der Beitrag ist im klassischen Sinn „aktuell". 

Auch in der Dimension Richtigkeit erfüllt der Beitrag alle Mindestkriterien. Darüber hinaus kennzeichnet der Beitragsautor als einziger das im Filmbericht verwendete Archivmaterial und erreicht in der Dimension Richtigkeit 18 von 19 zu erreichenden Punkten. Daneben analysiert Kleinert auch die „tieferliegenden" Ursachen für die Regierungsbeteiligung der rechtsgerichteten FPÖ, nämlich den Stimmenverlust der SPÖ durch die Überalterung ihrer Wählerschaft. Der Zuschauer erfährt zudem, dass der Machtverlust zur starken Mitsprache der ÖVP führte, welche eine SPÖ- Minderheitsregierung nicht duldet. Als weitere Ursache für die aktuelle Situation nennt Kleinert auch die gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen der ÖVP und der SPÖ. Damit führt der Beitragsautor gleich drei Ursachen an. Die kurze Nennung einer Ursache hätte genügt, um innerhalb der Dimension Vollständigkeit 5 Punkte zu erhalten. Hier zeigt sich (entgegen der oben geäußerten Annahme, der Codierbogen müsse nicht weiter verändert werden) eine weitere Schwäche des Codierbogens, da er innerhalb der Qualitätsvariablen „Vollständigkeit" die Ausführlichkeit der Ursachenanalyse nicht wertet. Auf diese Schwäche wird bei der Beurteilung der Messtauglichkeit des Codierbogens nochmals einzugehen sein .

Zur Qualität der Themenwahl, die innerhalb der Relevanz bewertet wird, lässt sich Folgendes festhalten: Hier erreicht der Beitrag 9 Punkte, eine Punktzahl, die, abgesehen vom „heute- Beitrag", auch alle anderen Beiträge erreichen. [Der „heute- Beitrag" thematisiert nicht die Umstrittenheit der FPÖ bzw. Haiders, was sich bei der Bewertung innerhalb der Dimension Relevanz auswirkt.] Das verwundert nicht, enthalten doch die Beiträge der „Pro7- nachrichten", der „SAT 1 18:30 nachrichten" und des „ZDF heute- journals" dieselben thematischen Aspekte, nämlich die sich anbahnenden Koalitionsgespräche zwischen ÖVP und FPÖ. Diese könnten unter Umständen Österreichs außenpolitische Beziehungen beeinträchtigen. Innerhalb der „individuellen Relevanz" erzielt der Beitrag von Filmautor Kleinert bei der Qualitätsvariablen „Personalisierung" 1 Punkt durch die Verwendung eines Umfrage- Elements.

In der Dimension Vermittlung schneidet der in den „tagesthemen" gesendete Beitrag mit 16 Punkten ebenfalls gut ab. Kleinert verwendet als „verständlichkeitsförderndes Stimulanzkriterium" einen Vergleich (die SPÖ entspreche einem Pensionistenverein). Daneben enthält der Beitrag aktionsreiche Bilder (Umzug der SPÖ- Anhänger) und Bilder, die im visuellen Kontrast zu den vorangegangenen Einstellungen stehen (auf die Bildsequenz des bunten Umzugs bei Sonnenschein folgen Aufnahmen eines karg eingerichteten Parteilokals, das eine Schar von Pensionären bei grauem Himmel betritt). Darüber hinaus lässt sich eine Beitragsdramaturgie ausmachen. Nach Wiedergabe der nötigen „Fakten" bedient sich Kleinert zu Beginn des zweiten Beitragsdrittels jener farbenfrohen Bilder, die einen Kontrast zu dem bisherigen Filmmaterial (Bilder von Pressekonferenzen und Tagungen) ergeben. Nach drei Minuten folgt ein Umfrage- Element, was aufgrund seines „Unterhaltungswertes" (der innerhalb der „individuellen Relevanz" gemessen wird) das Interesse des Zuschauers wecken dürfte. Hier wird seinesgleichen zu seiner Meinung befragt.

Der Beitrag endet mit einem weiteren dramaturgischen Höhepunkt, bei der eine Äußerung Haiders vom Beitragsautor zitiert wird: „und der meinte, das Versenken des rot- schwarzen Regierungsbootes sei sein schönstes Geschenk". Diese militärisch inspirierte Äußerung Haiders, der als rechtsgerichteter Politiker gilt, beschäftigt den Zuschauer sicherlich über das Beitragsende hinaus. Was wird sein, wenn ein Mann an der Regierung beteiligt wird, der die Mitglieder der Waffen-SS als „anständige Menschen mit Charakter" (Anmoderation) bezeichnete und im aktuellen Zusammenhang noch immer militärisch- markante Ausdrücke gebraucht?

 

Michael Schmitz/ heute journal:  

Im Drei- Minuten- Bereich ist auch der erste von zwei analysierten Beiträgen des ZDF-Korrespondenten Michael Schmitz angesiedelt. Dieser Beitrag erzielte insgesamt 41 Punkte, davon 18 Punkte in der Dimension Richtigkeit. Innerhalb der Variablen Vollständigkeit erhält der Filmbericht durch die Nennung der Alternative (Neuwahlen) die Höchstpunktzahl von 6 Punkten. Die „Vermittlung" schneidet mit 10 Punkten im Vergleich zu den Beiträgen von ARD (16 Punkte) , PRO 7 (14 Punkte), und SAT 1 (12 Punkte) nicht gut ab. Der Beitrag lässt aber eine dramaturgische Gestaltung erkennen und enthält ein Bild mit „bewegtem Inhalt" (einkaufende Bürger), was ihm zwei Punkte in der Unterdimension „Ästhetik" einbringt; jedoch ist die Bildauswahl recht unspektakulär, und eine der Schrifteinblendungen (Inserts) bleibt weniger als 4 Sekunden sichtbar. Die Vermittlungsqualität wird auch durch die langen Politikerstatements beeinträchtigt. So umfaßt ein Satz von Jörg Haider ganze 41 Wörter! Insgesamt gibt es 4 Sätze bzw. Satzeinheiten, die mehr als 20 Wörter umfassen. Da jedoch pro angefangener Filmminute maximal ein Satz mit über 20 Wörtern erscheinen darf, erhält dieser Filmbericht im Bereich der „verständlichen Satzlänge" noch 2 Punkte.

Michael Schmitz/ heute:  

Michael Schmitz lieferte auch für die ZDF- Nachrichtensendung „heute" einen Beitrag von 87 Sekunden. Dieser wirkt im Vergleich zu dem eben vorgestellten Beitrag des „heute journals" wie die radikal zusammengeschnittene Fassung des langen Beitrages. Das zeigt sich zum Beispiel daran, dass die Kontroversen um Haider und seine Partei mit keinem Satz erwähnt werden. Ebenso erscheinen die gleichen Redeausschnitte, die bereits im langen Beitrag verwendet wurden – allerdings in stark gekürzter Form. Insgesamt erzielt der Beitrag 38 Punkte und ist damit der „zweitschlechteste" Beitrag. Daneben weist er die geringste Punktzahl in der Dimension Relevanz auf. Da der Beitrag den drohenden Schaden für die internationalen Beziehungen Österreichs nicht thematisiert, konnten innerhalb der Qualitätsvariablen Irrevisibilität nur die sich anbahnenden Koalitionsgespräche zwischen ÖVP und FPÖ gewertet werden. Dieses Ereignis ist jedoch ein leicht rückgängig zu machender Vorgang und wird mit 0 Punkten bewertet. Dagegen thematisieren die anderen Beiträge zusätzlich den damit verbundenen Schaden für Österreichs außenpolitische Beziehungen, der nur mit großem Aufwand wieder beseitigt werden kann. Zudem nutzt der Beitrag auch nicht das Umfrage- Element, welches den anderen Beiträgen durchweg 1 Punkt innerhalb der „individuellen Relevanz" einbrachte. Wie schon im anderen Beitrag von Michael Schmitz enthält dieser kurze Beitrag 3 Sätze über 20 Worte, sodass diesmal die Verständlichkeit des Satzbaus mit 0 Punkten gewertet wird.

Auffällig ist bei diesem Beitrag, dass der Filmautor trotz der Beitragskürze die Vorsitzenden von ÖVP, SPÖ und FPÖ zu Wort kommen lässt. Damit unterscheidet sich dieser Beitrag von den zwei Filmberichten, die von den Privatsendern ausgestrahlt wurden. Bei diesen kommt nur jeweils ein Parteivorsitzender zu Wort. Michael Schmitz, der dagegen 3 Statements der Vorsitzenden einbaut, bezieht seine Aussagen jeweils auf die von den Politikern abgegebenen Statements. Auch wenn, wie in Abschnitt 4.2.2 erläutert, dieser gehäufte Einsatz von Quellen keinen endgültigen Beweis für die Richtigkeit der Faktentreue darstellt – die Häufigkeit, mit der „Quellen" im Bericht verwendet werden, sollte nun doch als Qualitätskriterium innerhalb der Variablen „Faktentreue" gewertet werden. So beinhaltet die vermehrte Verwendung von Politikeraussagen einen höheren Rechercheaufwand zur Beschaffung dieser Aussagen. Sie zwingt den Filmautor dazu, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen (etwa bei der Sichtung des filmischen Agenturmaterials zur Auswahl eines geeigneten Politikerstatements oder durch das Interview mit dem Politiker). Außerdem muss der Filmautor seine Aussagen auf die von den Politikern gemachten Aussagen beziehen, wodurch seine Wertungen für den Zuschauer nachvollziehbar werden. Auch hier sollte der Codierbogen verfeinert werden.

 

 

Unbekannter Filmautor/ Pro 7:

Einen Kontrast zu dem eben vorgestellten Beitrag von Michael Schmitz stellt der 64 Sekunden dauernde PRO7- Filmbericht dar. Dieser erfüllt durch die nicht erfolgte Nennung des Autorennamens die Dimension Richtigkeit nicht. Zudem verwendet der Beitragsautor nur ein Statement (von Wolfgang Schüssel). Zum Ende des Beitrags erzählt der unbekannte Filmautor dem Zuschauer, die jüdische Gemeinde Wiens warne vor den Folgen der bevorstehenden Koalition – wobei der Zuschauer eine Maueransicht des jüdischen Stadttempels in Wien präsentiert bekommt. In Bezug auf die sachliche Richtigkeit wäre hier das Statement eines Repräsentanten der jüdischen Gemeinde besser gewesen. Dafür erreicht dieser Beitrag im Bereich der Vermittlung die zweitbeste Plazierung. So weist der Beitrag eine klare Dramaturgie auf. Den Filmeinstieg gestaltet der Autor mit einem Sprichwort (drum prüfe, wer sich ewig bindet) und vergleicht die aktuelle Situation, in der sich die ÖVP bzw. die SPÖ befindet, mit einer Brautschau. In der Mitte des Beitrags erläutert der Berichtsautor die Machtkonstellationen zwischen den potenziellen Koalitionspartnern mit Hilfe von drei Skatkarten. Gleichzeitig dienen diese als visueller Kommentar, die den Machtpoker zwischen Viktor Klima, Wolfgang Schüssel und Jörg Haider illustrieren. Zum Schluss setzt der Autor einen weiteren Höhepunkt, indem er den Filmbericht mit der drohenden außenpolitischen Isolierung Österreichs ausklingen lässt.

Steffen Schwarzkopf/ SAT.1:  

Auch dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem anstehenden Rechtsruck in Österreich (Anmoderation) durch die sich anbahnende Koalition zwischen ÖVP und FPÖ. Dabei konzentriert sich der Beitrag auf die Person Haiders und weist porträthafte Züge auf. So erfährt der Zuschauer, dass Haider der Sohn eines Schusters ist. Auffällig bei diesem Beitrag ist die teilweise geringe Anzahl der Wörter, aus denen die Sätze gebildet werden. Die durchschnittliche Wortanzahl pro Satz des Sprechertextes liegt bei 10 Wörtern. Dadurch entsteht teilweise der Eindruck eines „Stakkatostils". Zu dieser simplen Satzstruktur gesellen sich wertende Äußerungen wie „ein Mann greift nach der Macht" oder „der Rechtsausleger" (eine Wortschöpfung des Autors). Diese Wertungen und weitere Tatsachenbehauptungen über Jörg Haider werden durch ein Statement Haiders, welches er im Juni 1991 abgab, „verifiziert". Auch hier wäre es im Zuge der „Faktentreue" besser gewesen, Haiders Wahlkampfaussagen durch ein entsprechendes Statement von ihm zu belegen. Im Bereich der Vermittlung gibt es jedoch einige bemerkenswerte Einstellungen, so etwa die Großaufnahme von Haiders Kopf, die gänzlich in blaues Licht gehüllt ist. Ferner zeigt sich eine ästhetisch- dramaturgische Inszenierung des Beitrages durch den markanten Schluss. Haider wird in der vorletzten Einstellung in einer Lederjacke, in der letzten Einstellung im Anzug (zusammen mit ÖVP-Chef Schüssel) gezeigt. Der Sprecher verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Haiders Stammtischparolen (Lederjacke) bald auf die Regierungsbank (Anzug) wechseln könnten. Mit diesem Schluss zeigt Schwarzkopf mögliche Gefahren auf, die sich bei einer Regierungsbeteiligung Haiders ergeben könnten.

 

 

zurück zur Eingangsseite

zurück zum Inhaltsverzeichnis  
   
der Magisterarbeit
weiter:

Messgenauigkeit des Codierbogens