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der Magisterarbeit

4.2  

DISKUSSION DER DIMENSION RICHTIGKEIT

Überblick 

4.2.1    

Zur grundlegenden Theorie der Dimension Richtigkeit

4.2.1.1

Habermas´ Konsensustheorie als Basis der Dimension Richtigkeit

4.2.1.2    

Der Konstruktivismus als Basis der Dimension Richtigkeit  

4.2.1.3   

Der hypothetische Realismus als Basis der Dimension Richtigkeit  

4.2.2    

Die Qualitätsvariable "Faktentreue

4.2.3    

Die Qualitätsvariable „Ausgewogenheit“  

4.2.4    

Die Qualitätsvariable „Vollständigkeit“

4.2.5    

Die Qualitätsvariable „Quellentransparenz“

4.2.6    

Gewichtung und Gesamtbewertung der Dimension Richtigkeit

4.2.1

Zur grundlegenden Theorie der Dimension Richtigkeit

4.2.1.1

Habermas´ Konsensustheorie als Basis der Dimension Richtigkeit

Die Konsensustheorie von Habermas eignet sich nicht als theoretische Basis von Ragers Dimension Richtigkeit

In seinem Aufsatz zur politischen Kommunikation in den Fernsehnachrichten äußert Klaus Kamps (1998:36) die Meinung, innerhalb des Fernsehens werde politische Glaubwürdigkeit in besonderem Maße den Fernsehnachrichten zugeschrieben. Mit dieser Bemerkung zielt er auf das Objektivitätsideal der Tagesschau, welches im ARD-Jahrbuch von 1969 (Seite 140) festgehalten ist. [Vergleiche hierzu: (Huh:1996:116ff.), (Kamps:1998:18), (Straßner:1982:92)]. Die Statuten der „Tagesschau“ werden an dieser Stelle exemplarisch für den gesamten Bereich der Fernsehnachrichten präsentiert. Danach sollen Nachrichten objektiv, sachlich und überparteilich ausgewählt und dargeboten werden. Ferner geht an die Nachrichten die Forderung, nicht einseitig zu sein, sondern möglichst genau die Wirklichkeit wiederzugeben. Das Bemühen der Nachrichtenjournalisten um eine möglichst objektive Darstellung der „Wirklichkeit“ manifestiert sich laut Huh (1996:116) in der stark offiziösen Diktion des Textes und im Vortragsstil, was den Rezipienten das Gefühl vermittelt, objektiv informiert zu werden [vergleiche hierzu auch: (Straßner:1982:166), (Hartley:1982:47)]. Ferner führte das Objektivitätsideal nach Huh (1996:118) zum Verschwinden persönlich gefärbter Berichterstattungsformen, wie etwa Reportagen, und zur Einführung der Nachrichtenfilme und der Reporterberichte. Auch ihnen obliegt die Aufgabe, in aller Kürze möglichst objektiv über die wichtigsten Aspekte eines Ereignisses zu informieren.

 

Dabei verstärkt die Visualität der Nachrichtenfilme die Authentizitätsillusion (Bruns:1997:279), wobei die Dominanz gewöhnlicher Kameraperspektiven den Dokumentations- und Objektivitätscharakter der Filmberichte verstärkt. Aus erkenntnistheoretischer Perspektive stellt sich jedoch die Frage, ob die angestrebte Objektivität innerhalb der Fernsehnachrichten überhaupt möglich ist. Auch Rager ist sich bei der Präsentation der Dimension Richtigkeit der Diskussion bezüglich dieser Frage bewußt. So schreibt er:

 

[...] „Heute wird der Vergleich der gemeldeten Nachricht mit dem realen Ereignisverlauf in der Nachrichtenforschung häufig als erkenntnistheoretisch unzulässig bestritten. Das Problem erübrigt sich allerdings, wenn nicht von einer Theorie absoluter Objektivität, sondern von einer Konsensustheorie der Wahrheit (vergl. Habermas 1988) ausgegangen wird: [...] (Rager:1994:201).

Die Konsensustheorie fundiert folglich Ragers Dimension Richtigkeit und den Anspruch des Systems Journalismus, „Wahrheit“ bemesse sich an der intersubjektiven Nachprüfbarkeit. Was aber ist wiederum Wahrheit im Sinne Habermas? Und reicht die Erklärungskraft von Habermas´ Konsensustheorie aus, um als philosophische Grundlage das journalistische Streben nach Objektivität zu rechtfertigen – vor allem gegenüber den Vertretern des Konstruktivismus?

 

Bei der Überprüfung der Habermasschen Theorie als erkenntnistheoretische Grundlage der Dimension Richtigkeit stellte sich jedoch aus mehreren Gründen heraus, dass Habermas´ Konsus-Modell zur Wahrheit nicht ausreicht, um als Brücke zwischen Theorie und journalistischer Praxis zu fungieren. Das zeigt sich bereits am Habermasschen Geltungsbereich der Wahrheit, der den Ausgangspunkt der Konsensustheorie darstellt .

 

Obwohl der Geltungsbereich der Wahrheit laut Habermas den Ausgangspunkt der Konsensustheorie bildet, erhebt er die Wahrheit nicht zur Grundlage bzw. zum Fundament der drei weiteren Geltungsbereiche Richtigkeit, Wahrhaftigkeit und Verständlichkeit, die Habermas für genuin hält (Habermas:1984:137). Bei der Auseinandersetzung mit der Konsensustheorie beschränkt sich die Autorin aus arbeitsökonomischen Gründen auf die Skizzierung der zwei Geltungsansprüche Wahrheit und Richtigkeit. Zu ihnen äußert Habermas Gedanken, die die Autorin dieser Arbeit als kritisch erachtet.

 

Über Wahrheit entscheidet laut Habermas „nicht die Evidenz von Erfahrungen“, sondern der Gang der Argumentation“ (Habermas:1984:135). Dies trifft vor allem auf den Wahrheitsdiskurs zu, basiert er doch laut Habermas nicht so sehr auf den sich wechselseitig ergänzenden Wahrheitsansprüchen eines Menschen in Übereinstimmung mit dem handlungsbezogenen Wissen (Habermas spricht in diesem Zusammenhang von „innerweltlichen Korrelaten handlungsbezogener Kognition“), sondern auf Tatsachen, die auf „erfahrungsfreien und handlungsentlastenden“, also theoretischen Diskursen aufbauen (Habermas:1984:135).

 

In Habermas´ Unterscheidung von „innerweltlichen Korrelaten handlungsbezogener Kognition“ und den „erfahrungsfreien und handlungsentlastenden Diskursen“ dürfte kritisches Potential stecken. Hier, so scheint es, vollzieht Habermas eine künstliche Aufteilung des Wahrheitsbegriffes, der zu nichts führt.

 

Auch wenn in der Wissenschaft laut Habermas (1984:135) nicht die „Evidenz von Erfahrungen“, sondern der „Gang der Argumentation“ über die Wahrheit eines Sachverhaltes entscheidet, funktioniert die Wahrheitsfindung in beiden Fällen nach dem gleichen Prinzip. Der Mensch, der das Urteil über Wahrheit/ Unwahrheit zu fällen hat, urteilt, ob die gemachte Aussage übereinstimmt mit dem „handlungsbezogenen“ Sachverhalt bzw. mit dem „handlungsentlastenden“ (theoretischen) Sachverhalt.  

 

Diskussion der Dimension Richtigkeit

Gleichermaßen künstlich erscheint die Trennungslinie, die Habermas zwischen dem „erfahrungsfreien“ Wahrheitsdiskurs und dem auf Erfahrung basierenden Handeln zieht. Dies erkennt auch Habermas, wenn er schreibt, dass die beiden diskursiven Geltungsansprüche „Wahrheit“ und „Richtigkeit“ mittelbar in Erfahrung fundiert sind (Habermas:1984:141).

 

Zudem bleibt, so theoretisch die Wahrheitsdiskurse auch ausfallen mögen, ein enges Verhältnis zwischen dem theoretischen, „erfahrungsfreien“ Diskurs und dem mit der Erfahrung korrelierenden Handeln. Schließlich wird der wissenschaftliche Diskurs nicht um seiner selbst geführt. Die Autorin vertritt die Ansicht, dass die im theoretischen Diskurs entwickelten Wahrheiten die Sicht von der Welt, dem Menschen und der ihn umgebenden Gegenstände verändern, was sich wiederum auf das Handeln des Menschen auswirkt. So wird zum Beispiel die Frage nach der Existenz Gottes auf einer theoretischen, (im wahren Sinne des Wortes) „erfahrungsfreien“ Ebene geführt; das Resultat der Argumentation wirkt sich jedoch auf das Handeln des Menschen aus. Ein enger Bezug zwischen Theorie und Praxis gilt auch in der Wissenschaft. Das zeigt zum Beispiel ein von Niklas Luhmann verfasster Aufsatz, der sich unter anderem mit den Funktionen der Sozialwissenschaften beschäftigt. In diesem Zusammenhang merkt Luhmann an:

 

„Die Funktion der Wissenschaft betrifft die Entwicklung von Wissen unter dem Schematismus von Wahrheit/ Unwahrheit nicht einfach bloß um die Vermehrung von Wahrheiten. [...] Die Leistung der Wissenschaft schließlich ist nicht mit der Wahrheit als solcher schon erbracht, sondern unterliegt zusätzlichen Bedingungen der „Anwendbarkeit“. Sie setzt die „Konvertibilität“ von Wahrheit in andere Medien voraus – zum Beispiel in Geld oder in Macht“ (Luhmann:1977:22).

 

Ferner versteht Habermas bei seiner Konsenstheorie der Wahrheit unter „Konsens“ das identische Verstehen sprachlicher Ausdrücke (Bentele:1993:215), wobei ein wirkliches Einverständnis für Habermas rational motiviert ist und auf gemeinsamen Überzeugungen beruht.

 

In diesem Zusammenhang ist die Tatsache interessant, dass Nachrichtenforscher wie Straßner (1982:90), Haller (1993:145) und Hagen (1995a:106) wie Habermas den Wahrheitsgehalt von (nachrichtlichen) Informationen am übereinstimmenden Konsens von Journalisten und Rezipienten bezüglich bestimmter Wahrheitsvorstellungen festmachen (Hagen:1995a:106).

 

Im Falle des fehlenden Konsens´ muss dieser nach Meinung von Habermas im Diskurs zwischen gleich kompetenten Partnern hergestellt werden, um in einer idealen Sprechsituation die Wahrheit von Aussagen zu überprüfen. „Richtigkeit“ versteht Habermas im Sinne normativer Fragen; er versteht es im Sinne eines Verhaltens, welches als sozial richtig anerkannt wurde (Habermas:1984:140/ 147). Die Richtigkeit einer Norm wird demnach in praktischen Diskursen festgelegt. Jemand ist von der Angemessenheit einer Norm überzeugt, wenn er den Geltungsanspruch entsprechender Empfehlungen für die Wahl der Norm anerkennt.

 

   

So kennt auch das System Journalismus bestimmte Handlungsnormen (Rager:1994:189), wie etwa die Norm einer sorgfältigen Recherche, welche auf dem Konsens beruht, dass journalistische Produkte „sachlich richtig“ sein sollten (Weber:1994:4). Wahrheit unterscheidet sich folglich von der Richtigkeit durch die Art und Weise der Sprechakte: Im Falle der Wahrheit sind sie konstativ, im Falle der Richtigkeit regulativ.

 

In diesem Kontext fallen jedoch einige „Ungereimtheiten“ auf. So betrachtet Habermas die Geltungsbereiche als „genuin“ (Habermas:1984:156). Aus dem Text von Niklas Luhmann (1977:22) geht nach Meinung der Autorin jedoch der Bezug von Theorie und Praxis hervor. Hier stellt sich die Frage, wie die regulativ wirkende Normen entstehen. Bezogen auf die journalistische Praxis: Sind zum Beispiel die vom Deutschen Presserat (1997) herausgegebenen Handlungsrichtlinien nicht letztendlich das Ergebnis moralphilosophischer Erörterungen, zum Beispiel eines Jean- Jaques Roussaus? Und ist somit die Trennung der „genuinen“ Geltungsbereiche „Wahrheit“ und „Richtigkeit“ überhaupt haltbar?

 

Schließlich sieht die Autorin in Habermas´ Konsensustheorie noch einen weiteren kritischen Faktor. Bei der diskursiven Prüfung der Geltungsansprüche von Wahrheit bzw. Richtigkeit vertraut Habermas (1984:116) auf einen „wahren“ Konsensus, welcher auf der diskursiven Beurteilungskompetenz (Vernünftigkeit) der Diskurspartner und in einer idealen Sprechsituation entstand. Dabei teilt die Autorin mit Zimmerli (1981:245) die Auffassung, dass es die „ideale Sprechsituation“, die nach Habermas (1984:118) jedoch die Voraussetzung für das Auffinden des Konsens darstellt, nicht gibt. Unter diesen Voraussetzungen taugt Habermas´ Konsensustheorie nicht zur Fundierung von Ragers Dimension Richtigkeit.  

 

4.2.1.2 Der Konstruktivismus als Basis der Dimension Richtigkeit  
Der Konstruktivismus führt das journalistische Bemühen um sachliche Richtigkeit letztendlich ad absurdum
Der Konstruktivismus eignet sich nicht als theoretische Fundierung der Dimension Richtigkeit

Innerhalb des Journalismus gibt es immer wieder Vertreter, die die Subjektivität des Journalismus betonen, so etwa jene Wissenschaftler, die von der „Erzähltheorie der Nachrichten“ und damit von der Subjektivität dieses Genres ausgehen. [Vergleiche hierzu: (Meckel, Kamps:1998:27), (Hickethier:1998:186), (Hartley:1982:87), (Huh:1996:109ff)]. Nach Kamps und Meckel (1998:27) nutzt der Sprecher der Fernsehnachrichten ähnlich einem Geschichtenerzähler Bilder zur Illustration seiner nachrichtlichen Geschichte. Der Filmbericht hat dabei die Aufgabe eines „Untererzählers“ (Hickethier:1998:188), der das vom Nachrichtensprecher Mitgeteilte visuell veranschaulicht.

 

Nach Ansicht Hickethiers (1998:200) wurde der Fall des Fälschers Michael Born deshalb zum Skandal, weil sich der scheinbar authentische Filmbericht als plumpe Fälschung herausstellte und so den Richtigkeitsanspruch und die journalistische Glaubwürdigkeit in Frage stellte.

 

Ebenso bezeichnet John Hartley (1982:104/105) das Fernsehen als „Barde“, das mit seiner Funktion des Geschichtenerzählers die Stellung des „geringfügig Intellektuellen“ beziehungsweise des Patriarchen einnehme, der dem Ruhm der herrschenden Klasse gerecht werden müsse. Die Subjektivität der nachrichtlichen Filmberichterstattung weist Hartley (1982:63-74) anhand einer Bilder- und Sprachanalyse eines nachrichtlichen Filmberichtes nach. [Vergleiche hierzu auch die Sprachanalysen von Straßner (1982:155) und Schuhmann (1975:31).] Und schließlich setzt Huh (1996:119f.) dem Objektivitätsideal der Tagesschau die These von der Wirklichkeitskonstruktion der Realität entgegen. [Vergleiche hierzu auch Weischenberg (1998:143), der die Journalisten als „Weltbild-Konstrukteure“ bezeichnet.]

 

Die Annahme, die Welt sei eine subjektive Konstruktion der Journalisten, entspricht bei vielen der eben genannten Medienwissenschaftler dem konstruktivistischen Standpunkt. Er führt jedoch das journalistische Bemühen um „sachliche Richtigkeit“ als reduzierte Form des Objektivitätsanspruches in letzter Konsequenz ad absurdum. [Vergleiche hierzu Weischenberg (1995:162), der aufgrund des von ihm vertretenen konstruktivistischen Standpunktes der Meinung ist, der Journalismus könne nicht an kategorischen Wahrheitsmaßstäben gemessen werden.] Das macht einmal mehr deutlich, dass sich der Konstruktivismus nicht dazu eignet, Ragers Dimension Richtigkeit theoretisch zu fundieren. Aus diesem Grund sollen die Positionen des radikalen Konstruktivismus nur skizziert werden. Wegen des fernsehtheoretischen Hintergrunds dieser Arbeit wird dagegen Luhmanns operativer Konstruktivismus sowie seine Sicht von Realität und Wahrheit etwas ausführlicher erläutert.

 

Anhänger des Konstruktivismus gehen von der theoretischen Überlegung aus, dass das kognitive System des Menschen sich seine Wirklichkeit aktiv konstruiert (Kruse:1990:19). Dabei zeigt sich die „Radikalität“ des Radikalen Konstruktivismus nach Luhmann (1996:15) in seiner Beschränkung auf die Idee, das Subjekt und den Zeichengebrauch. Darin sieht Luhmann, der für den „operativen Konstruktivismus“ eintritt, einen logischen Bruch, da es kein „objektloses Subjekt“ und keine Idee ohne Realitätsbezug gebe. Mit anderen Worten: Die Vorstellungen, die der Mensch über sich und seine Umwelt konstruiert, bedürfen nach Luhmann eines Gegenübers, welches vom kognitiven System des Menschen für existent gehalten wird und auf welches er sich beziehen kann. Den Vertretern des Radikalen Konstruktivismus schlägt Luhmann vor, sich die Mühe zu machen, und die unter Umständen „obsolet“ gewordenen Begriffe durch „die vielfach bewährte Unterscheidung von System und Umwelt“ zu ersetzen (Luhmann:1996:16). Damit greift Luhmann auf die von ihm kreierten Begrifflichkeiten von System und Umwelt zurück, die zusammen als Welt bezeichnet werden. [Verleiche hierzu Luhmanns 1984 erschienene Systemtheorie „Soziale Systeme. Grundriß einer allg. Theorie.]  

 

Diskussion der Dimension Richtigkeit  

In seinem Buch „Die Realität der Massenmedien“ kritisiert Luhmann die „problematische Selbstdarstellung“ der Radikalen Konstruktivisten und vertritt einen Konstruktivismus, der mit seinen Vorstellungen von Realität und Wahrheit harmoniert. Da Wahrheit und Realität untrennbar mit dem System der Massenmedien verbunden sind, seien hier die wichtigsten Positionen des 1996 erschienen Buches „Die Realität der Massenmedien“ vorgestellt. Die Massenmedien gliedern sich in die drei Bereiche von Nachrichten und Berichten, Unterhaltung und Werbung (Luhmann:1996: 149), wobei laut Luhmann diese Programmbereiche sehr verschiedene Arten der Realität konstruieren. Gemeinsam ist den Programmbereichen, dass sie als Elemente eines beobachtenden (autopoietischen) Systems genötigt sind, zwischen Selbst- und Fremdreferenz zu unterscheiden. Das bedingt wiederum, dass sie sich nicht selber für die „Wahrheit“ halten können. Sie müssen zu ihrer eigenen Realität eine zweite konstruieren (Luhmann:1996:15).

 

Die primäre Realität liegt laut Luhmann (1996:17) jedoch nicht „in der Welt draußen“, sondern in den kognitiven Operationen selbst. Die kognitiven Operationen sind wiederum nur unter zwei Bedingungen möglich: Zum einen müssen sie sich als selbst reproduzierendes, beobachtendes System bilden; zum anderen kann dieses System nur beobachten, wenn es, wie vorhin bereits erwähnt, zwischen Selbst- und Fremdreferenz unterscheidet. Hier wird Luhmanns konstruktivistische Realitätssicht deutlich, der nicht nur das „System“ als existent betrachtet, sondern zusätzlich von der Existenz einer Umwelt ausgeht, von der sich das autopoietische System abgrenzt. Ferner geht Luhmann (1996:18) vom Vorhandensein der Welt aus. Er versteht diese jedoch nicht als Gegenstand, sondern im Sinne einer Phänomenologie als „unerreichbaren Horizont“. Daraus ergeben sich drei Konsequenzen für Luhmann. Erstens muss Realität konstruiert werden; zweitens bedingt die Realitätskonstruktion durch beobachtende „Realitätskonstrukteure“, wie zum Beispiel den Journalisten, dass deren Realitätskonstruktionen durch Dritte kritisch überprüft werden kann. Die Massenmedien produzieren folglich eine Realität zweiter Ordnung (Luhmann:1996:153), welche jene Wissensvorgaben ersetzt, die durch Beobachter der ersten Ordnung (Luhmann:1996:17) bereitgestellt wurden. Als Beobachter erster Ordnung nennt Luhmann unter anderem die Wissenschaft, sowie religiöse und städtische Repräsentanten. Die von den Massenmedien konstruierte Realität muss jenen, die die Massenmedien beobachten, sinnvoll erscheinen – und zwar im Sinne des von Luhmann (1996:19) gebrauchten Begriffes des „sensemaking“. Realität ist daher für Luhmann ein internes Korrelat der Systemoperationen. Sie ist ein Indikator für die erfolgreiche Konsistenzprüfung „im System“. Nach Luhmanns (1996:164) Aussage lässt die von den Massenmedien erzeugte Realität „die Illusion einer kognitiv zugänglichen Realität unangetastet“. Ferner pflichtet Luhmann den radikalen Konstruktivisten bei, welche davon ausgehen, dass kein kognitives System seine Umwelt operativ erreichen könne. Allein schon aufgrund dieser Aussagen kann Luhmanns „operativer Konstruktivismus“ nicht die theoretische Fundierung der Ragerschens Dimension Richtigkeit sein. Ferner äußert sich Luhmann (1996:56/73) aus dieser Realitätssicht zum Wahrheitsverständnis der Medien bei der Verbreitung von Nachrichten und Berichten.

Diskussion der Dimension Richtigkeit

   

Laut Luhmann (1996:73) ist es für Nachrichten und Berichte „nicht (oder allenfalls im Zuge von nicht mitgemeldeten Recherchen) wichtig, dass die Unwahrheit ausgeschlossen werden kann.“ Gegen diese Wahrheitsauffassung stellt Luhmann die Wissenschaft, welche zur Wahrheitsfindung gelangt, weil ihr genügend Zeit bleibt, um die Unwahrheit auszuschließen.

 

Dieser Idealisierung der wissenschaftlichen Wahrheitssuche ist nicht zuzustimmen. In diesem Zusammenhang verweist die Autorin nochmals auf Luhmanns Äußerungen zur Position der Wissenschaft (1977:22). Demnach verrichten die Wissenschaftler ihre Arbeit nicht im Elfenbeinturm, sondern betreiben die „Wahrheitssuche“ auch unter dem Aspekt der Konvertibilität in Geld oder Macht. Zudem bekommen die Massenmedien in ihrer Rolle als „Realitätskonstrukteure zweiter Ordnung“ die zu vermittelnden Informationen sozusagen „aus erster Hand“ durch die Beobachter erster Ordnung; und zu denen zählen auch die Wissenschaftler. Und schließlich genießt laut einer Umfrage von Rager (1994:3) die sachliche Richtigkeit die höchste Wertschätzung unter den „Realitätskonstrukteuren zweiter Ordnung“.

 

Zum nächsten Kritikpunkt, der Selektion von Nachrichten: Für die Massenmedien ist laut Luhmann (1996:73) die Unterscheidung in Information bzw. Nicht- Information wichtiger als die Wahrheit. Die Unterscheidung der eben genannten Informationsarten entspricht dem journalistischen Selektionsprozess. [Er wird ausführlich unter Abschnitten 4.3 bis 4.3.1.3 behandelt.] Den Freiraum zur Selektion erhalten die Massenmedien durch die Unterscheidung von externer und interner Komplexität. In diesem Zusammenhang bezieht sich Luhmann auf die Arbeiten einiger Nachrichtenwertforscher, welche jene Faktoren untersuchten, die die Journalisten zur Selektion und Publikation eines bestimmten Themas veranlassen (Luhmann:1996:57). Die Selektion bedingt Luhmann (1996:56) zufolge, dass es keine Punkt- für- Punkt- Korrespondenz zwischen Information und Sachverhalt und zwischen der operativen und der repräsentierten Realität geben kann. Auch diese Aussage vereitelt den Versuch, Luhmanns Sicht der Realität zur Grundlage der Ragerschen Dimension machen zu wollen.

 

Ferner gibt es noch weitere kritische Äußerungen, die Luhmann im Zusammenhang mit der Realität und der Wahrheit der Massenmedien tätigt. Bleiben wir beim Selektionsprozess, den auch Luhmann untersucht. Zu diesem Zweck listet Luhmann einige „Selektoren“ auf, welche zur Publikation von Nachrichten führen und vergleicht sie mit „Routinen“. Diese werden, so Luhmann, (1996:71) von weiteren Schemata ergänzt. Die Informationen werden entsprechend der bereits vorhandenen Rubriken und Schablonen „eingepasst“, wobei die dafür geltenden Kriterien unter dem Gesichtspunkt wiederholter Anwendbarkeit gespeichert sind. Luhmanns Meinung stehen die journalistischen Handlungsroutinen und bereits vorhandenen Schemata im Widerspruch zum immer wieder betonten Neuigkeitswert der Nachrichten. Luhmann unterscheidet mit seiner Kritik an den bereits vorhandenen Schemata jedoch nicht zwischen Form und Inhalt. Mag sein, dass in Tageszeitungen bestimmte Rubriken und bei den Fernsehnachrichten bestimmte Sendeplätze (also Formen) „gefüllt“ werden müssen. Die Information, die in diese Formen eingepasst wird, entspricht jedenfalls dem von Luhmann gewünschten Neuigkeitswert.

Diskussion der Dimension Richtigkeit

 

Jedoch scheint Luhmann (1996:54) aufgrund der seriellen Produktion von Nachrichten nicht so recht an den Neuigkeits- bzw. Mitteilungswert von Nachrichten glauben zu können. Bezüglich des Programmbereichs „Nachrichten und Berichte“ schreibt Luhmann (1996:53) davon, dass die Massenmedien in diesem Bereich „Ignoranz in der Form von Tatsachen“ verbreiten, die ständig erneuert werden müssen. In diesem Zusammenhang erinnert er an das 16. Jahrhundert. Zu diesen Zeiten, so Luhmann, wartete man darauf, dass etwas geschieht. Aber das tut man auch noch heute – nur mit dem Unterschied, dass der journalistische Beobachtungs- und Publikationsapparat wesentlich effizienter funktioniert als in der Renaissance.

 

Die eben dargestellte Auseinandersetzung mit den Positionen des Radikalen Konstruktivismus und des Operativen Konstruktivismus Luhmanns´ sollte verdeutlicht haben, dass auch diese nicht als theoretische Basis für Ragers Dimension Richtigkeit taugen.  

 

4.2.1.3 Der hypothetische Realismus als Basis der Dimension Richtigkeit
Der hypothetische Realismus vereinigt konstruktivistische als auch realistische Positionen in sich 
Der hypothetische Realismus fungiert als Grundlage der Dimension Richtigkeit  

Der Position des Konstruktivismus, die das subjektivistische Extrem der Realitätskonstruktion darstellt, stehen die einzelnen Disziplinen des Realismus entgegen. Dabei sehen die Befürworter des naiven Realismus in den Nachrichten ein Abbild der erfahrbaren Wirklichkeit, was sich beispielsweise anhand der Verwendung der „Spiegelmetapher“ zeigt. Nach diesem Wirklichkeits- Modell sind die Bemühungen der Journalisten nach sachlicher Richtigkeit uneingeschränkt realisierbar. Es übergeht jedoch das Problem der Informationsverarbeitung, klammert die innersystemischen Anteile des Erkenntnisprozesses aus (Kruse:1990:24) und ist insgesamt zu vereinfachend, um als Kognitionsmodell tragfähig zu sein.

 

Der Qualitätsforscher Hagen (1995a:106) macht daher den kritischen Realismus zur theoretischen Basis seiner Qualitätsbewertung von Agenturberichten. Der kritische Realismus geht nach Kruse (1990:22) davon aus, dass die Erlebniswirklichkeit des Menschen zwar eine abhängige Größe der Realität ist, jedoch keine unmittelbare Abbildung (Kruse:1990:22f.). Darum verarbeitet der rezipierende Mensch nur bestimmte Realitätsausschnitte, wobei es bei der Realitätskonstruktion zu gesetzmäßigen Verzerrungen und optischen Täuschungen kommen kann. Damit kann der kritische Realismus grundlegende Wahrnehmungsprozesse und einige Täuschungsphänomene hinreichend erklären.

 

 

   

Dennoch hält Kruse (1994:22/24) das mit dem kritischen Realismus in Zusammenhang stehende Konstruktionsmodell für die Beschreibung alltäglicher Wahrnehmungs- und Denkprozesse für unzureichend, weil es das faszinierende Miteinander von Komplexität und Leichtigkeit der Ordnungsbildung nicht erklären kann.

 

Ein Lösungsansatz zwischen den beiden Extrempositionen des Konstruktivismus und dem ihm entgegenstehenden Realismus könnte der hypothetische Realismus beziehungsweise die Evolutionäre Erkenntnistheorie darstellen, welche Vollmer (1985:72) präsentiert. Danach ist der hypothetische Realismus verwandt, aber nicht identisch mit dem kritischen Realismus. Gemeinsam haben sie die kritische Haltung, die Ablehnung des naiven Realismus, die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit und Erscheinung, wobei der hypothetische Realismus den subjektiven, vorläufigen und fehlbaren Charakter aller Erkenntnis betont – im Gegensatz zum kritischen Realismus, der wenigstens die Existenz der Welt als evident ansieht (Vollmer:1985:46). Erkenntnis ist strukturiert, zusammenhängend, und quasi- kontinuierlich. Sie ist teilweise erkennbar und erklärbar durch Wahrnehmung, Denken und intersubjektive Wissenschaft. Die Hauptfrage der Evolutionären Erkenntnistheorie lautet: Wie kommt es, dass die (subjektiven) Strukturen menschlicher Erkenntnis auf die (objektiven) Strukturen der Realität passen? Mit dieser Auffassung der Wirklichkeit vereinigt der hypothetische Realismus sowohl konstruktivistische als auch realistische Positionen in sich.

 

Nach Vollmers Erkenntnistheorie stellt die Erkenntnis eine adäquate interne Rekonstruktion und Identifikation äußerer Objekte dar. Ferner äußert Vollmer (1985:50) die Ansicht, der Mensch als erkennendes Wesen habe die Möglichkeit zur intersubjektiven Verständigung mit anderen bewussten Wesen. Dies beruhe darauf, dass die subjektiven Strukturen aufgrund der Vererbung bei allen Menschen im wesentlich gleich seien. Intersubjektivität garantiert nach Vollmer keine Objektivität, was sich nach Ansicht des Wissenschaftlers in kollektiven Halluzinationen, Massenpsychosen, regelmäßigen Sinnestäuschungen sowie übereinstimmender Fehler aufgrund falscher Theorien zeigt. Weiter sagt Vollmer (1985:50) aus, dass die kognitiven Strukturen des Menschen, die subjektiv, vielleicht intersubjektiv sind, nicht mit absoluter Sicherheit eine angemessene Rekonstruktion realer Objekte lieferten, denn evolutionärer Erfolg garantiere keine Wahrheit. Da diese Strukturen jedoch über Jahrmilliarden getestet wurden, können sie laut Vollmer nicht völlig falsch sein. Daher hält Vollmer (1985:53) objektive Erkenntnis für möglich.

 

Bentele (1993:168), der im hypothetischen Realismus eine theoretische Fundierung des journalistischen Objektivitätsstrebens sieht, vertritt die Ansicht, Nachrichten sollten als Rekonstruktion von Wirklichkeit aufgefaßt werden, unabhängig davon, ob Wirklichkeit sozial konstituiert ist, oder nicht. Ferner vertritt Bentele die Auffassung, wahrheitsgemäße und objektive Berichterstattung sei möglich, da die Feststellung irgendeiner Art von verzerrender Berichterstattung auch immer die Möglichkeit unverzerrter Berichterstattung voraussetze.  

 

Die Autorin der Arbeit schließt sich Benteles Aussagen an und sieht im hypothetischen Realismus bzw. der Evolutionären Erkenntnistheorie die Basis für Ragers Dimension Richtigkeit. Dieses theoretische Fundament rechtfertigt wiederum das Streben der Journalisten nach „sachlicher Richtigkeit“, deren Qualität innerhalb der Dimension bewertet wird. Die grundlegende journalistische Arbeitstechnik zur Herstellung sachlicher Richtigkeit ist, wie bereits bei der ersten Präsentation von Ragers Dimension (Seite 32) dargestellt, sorgfältige Recherche. [Vergleiche hierzu auch (Haller:1993:148) und (Rager:1994:200).] Ähnlich äußert sich Bentele (1982:133ff), der die Auffassung vertritt, Qualität und Wertschätzung eines Mediums hingen zusammen mit der Richtigkeit und Zuverlässigkeit der Informationen.

 

 

Die Medienwissenschaftler Rager (1994:201), Albers (1992:32), Bienzle (1994:186f), Schatz/Schulz (1992:705), Fischer (1995:56-68) und Hagen (1995:10) nennen weitgehend übereinstimmend Faktentreue, Vollständigkeit, Ausgewogenheit, Transparenz der Quellen als Kriterien für sachliche Richtigkeit. Die genannten Kriterien bilden innerhalb der Ragerschen Dimension Richtigkeit die Qualitätsvariablen, nach deren Indikatoren innerhalb der zu untersuchenden Filmberichte gesucht wird.  

 

 

Diskussion der Dimension Richtigkeit

4.2.2 Die Qualitätsvariable Faktentreue  

McQuail (1992:205), nennt „factualness“ (Tatsächlichkeit), „accuracy“ (Genauigkeit) als die wichtigsten Aspekte der Informationsqualität und skizziert später die Anforderungen, welche die Qualitätsvariable Faktentreue zu erfüllen hat:

 

„eine Tatsache ist deutlich verschieden von einer subjektiven Meinung [...] und sollte durch den Bezug zu einer verläßlichen Quelle oder eines unabhängigen Berichtes verifizierbar sein.“

 

Damit bezieht sich McQuail auf die journalistische Sorgfaltspflicht, von der in Abschnitt 2.3.2.2. bereits die Rede war und die hier nun näher erläutert werden soll. Berdi (1992:31), Fischer (1995:58) und Branahl (1992:246) betonen die gesetzliche Grundlage der Faktentreue, wobei der Journalist gemäß den Pressegesetzen dazu angehalten ist, die Informationen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Die Pflicht zur Verifizierung entfällt bei allen amtlichen Quellen, so etwa bei Pressemitteilungen der Staatsanwaltschaft oder der Polizei. Ebenso darf sich der Fernsehjournalist ohne weitere Recherche auf die Richtigkeit der in den Agenturberichten (WTN, APTV, Reuters TV) enthaltenen Informationen verlassen (Branahl:1992:246fff.). Ansonsten gilt der Grundsatz der Nach- und Gegenrecherche (Berdi:1992:32)

 

Im Falle, dass der Journalist eine Behauptung über einer Person von öffentlichem Interesse in seinem Filmbericht verwendet, hat er zuvor zu prüfen, ob die Behauptung wahr ist und ob die Publikation der Behauptung das Persönlichkeitsrecht dieser Person verletzt. [Vergleiche zum Persönlichkeitsrecht Abschnitt 2.3.2.2.]

An dieser Stelle erfolgt nun auch eine Erläuterung der von den Journalisten aufgestellten „Behauptungen“. Diese bezeichnet man im Journalistenjargon als „Tatsachenbehauptungen“. Kennzeichnend für eine Tatsachenbehauptung ist, „dass sie objektiv überprüfbar“ ist (Branahl:1992:58f.). Tatsachenbehauptungen beziehen sich auf sinnlich wahrnehmbare Ereignisse oder Zustände in der Umgebung des Journalisten, über die dieser berichtet. Ein Journalist stellt aber dann auch eine Tatsachenbehauptung auf, wenn er sich zu Motiven und Absichten oder der psychischen Verfassung einer Person (oder einer Vereinigung etc.) äußert. Meist stehen Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit Geboten und Verboten, die eine Person laut der Aussage des Journalisten nicht beachtet hat.

Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn der Journalist durch Dritte den „Tipp“ bekommt, Altbundeskanzler Kohl sei verantwortlich für die Existenz von Schwarzgeldkonten der CDU. Im Fall, dass der Fernsehjournalist solch eine noch nicht bewiesene Information (Tatsachenbehauptung) mittels eines Filmberichtes verbreiten will, muss er eine Nachrecherche durchführen. Zu diesem Zweck werden die zweifelhaften Informationen überprüft und ergänzt. Zudem ist eine Gegenrecherche durchzuführen, die sicherstellt, ob es nicht gegenteilige Fakten gibt, welche den Beschuldigten entlasten. Schließlich hat der Journalist den Beschuldigten selbst mit den entsprechenden Vorwürfen zu konfrontieren. Die Bemühungen des Journalisten um den Erhalt dieser Stellungnahme müssen aus dem Filmbericht hervorgehen. Übliche Fernseh- Praxis ist es daher, dass ein Journalist (meist der Autor des Filmberichtes) bei laufender Kamera vor der Haustür des „Beschuldigten“ steht, anklingelt, jedoch ohne Stellungnahme abgewiesen wird. Eine andere Möglichkeit ist die Aufzeichnung eines erfolglosen Telefonates oder die bildliche Dokumentation des Briefwechsels, wobei die schriftliche Antwort der auskunftsberechtigten Person zum Teil aus dem „Off“ verlesen wird (Michel:1969:82). Auskunftsberechtigt ist diejenige Person, von der der Bericht handelt, bzw. alle Amtsleiter, Geschäftsführer und Öffentlichkeitsarbeiter. Im Falle, dass der Journalist die Nach- und Gegenrecherche unterlässt und eine unwahre Tatsachenbehauptung über eine Person oder eine Vereinigung mittels eines Filmberichtes verbreitet, droht ihm eine Geld- bzw. Haftstrafe.

Weiterhin fordern die Qualitätsforscher um Berdi (1992:38), dass nicht gesicherte Informationen als solche kenntlich gemacht werden. Ein Filmbericht sollte bei Themen von hohem öffentlichen Informationsinteresse, wie zum Beispiel der Geiselnahme in Aachen am 21./22 Dezember 1999 die Vorläufigkeit der Information unterstreichen, etwa durch Anmerkungen wie „nach einer noch unbestätigten Meldung“, „es wird vermutet“ etc.

Weiterhin darf der Journalist auch nicht nach eigenem Gutdünken über ein Mitglied der Gesellschaft berichten, wenn dieses ihm nicht dazu die Einwilligung erteilt hat. Im Falle des Fernsehjournalismus kann dies auch durch „konkludentes Tun“ (Branahl:1992:113) geschehen. So muß eine Person, die sich gegenüber einem Reporter vor laufender Kamera zu einem Thema äußert, wissen, dass das Interview später ausgestrahlt werden könnte. Über eine Person darf ferner nur berichtet werden, wenn sie als „öffentliche Person“ gilt (Polit- Prominenz etc.), beziehungsweise, wenn sie sich durch ihr Verhalten zum Gegenstand öffentlichen Interesses gemacht hat (Geiselnehmer etc.).

Innerhalb der Nachrichtensendungen bereitet die Erfüllung der Sorgfaltspflicht Probleme, weil die Nachrichtenredakteure in den Sendeanstalten mit zugeliefertem Filmmaterial arbeiten müssen. Dieses stammt beispielsweise von den anstaltseigenen Reportern, der Eurovision, den Nachrichtenagenturen WTN, APTV, Reuters TV, anderen Sendern oder wurde speziellen Produktionsfirmen abgekauft (Huh:1996:57-68). Dabei berichten sowohl Straßner (1982:96) als auch Huh (1996:84) von Fällen, in denen Nachrichtenreporter Filmberichte „blind texteten“ ohne jedoch am Ort des Geschehens gewesen zu sein. Solche Praktiken verletzen den „Historikerethos“, den Anspruch, als Augenzeuge für den Wahrheitsgehalt des Beobachteten bürgen zu können. Dennoch versuchen die Nachrichtenredakteure, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, die Faktentreue der Informationen sicherzustellen. So erfolgen an einem Produktionstag immer wieder Absprachen mit den hauseigenen Reportern bzw. Korrespondenten (Huh:1996:54f.). Des Weiteren prüfen Filmredakteure die eingegangenen Berichte inhaltlich auf fahrlässige Fehler der Reporter durch den Vergleich der Angaben im Filmtext mit den Angaben der Wortberichte der Agenturen. [Vergleiche hierzu: (Huh:1996:52), (Straßner:1982:94), (Sturm:1998:198).] Ferner ist wohl die Straffung, nicht aber eine beliebige Änderung der Nachrichtenfilme gängige Fernsehpraxis.

 

Fazit der Diskussion für die Bewertung der Variablen „Faktentreue“

Die wichtigsten Merkmale der Faktentreue sind folglich die Nach- und Gegenrecherche bei unbestätigten Tatsachenbehauptungen, die Kenntlichmachung unbestätigter Informationen und die Präsentation kompetenter und unmittelbar auskunftsberechtigter Personen. Da beispielsweise Schwierigkeiten mit der Recherche unter Umständen in der Anmoderation anklingen, fließt das in der Anmoderation Gesagte in die Qualitätsbewertung der „Faktentreue“ mit ein.

 

Im Bereich des Printjournalismus gehen Berdi (1992:47) als auch Fischer (1995:59) von der Möglichkeit aus, dass sich innerhalb eines Printproduktes Indikatoren der Variablen „Faktentreue“ ausfindig machen lassen. So betrachtet Fischer die Faktentreue als erfüllt, wenn im Sinne einer Gegenrecherche mindestens zwei Quellen genannt werden.

 

   

Es reicht jedoch aus, die „Faktentreue“ anhand der filmischen Dokumentation der Nach- und Gegenrecherche, der Kenntlichmachung unbestätigter Informationen sowie der Präsentation auskunftsberechtigter Personen zu prüfen. In diesem Zusammenhang ist in der Diskussion bereits erläutert worden, welche Methoden Fernsehjournalisten anwenden, um ihre Bemühungen um Nach- und Gegenrecherche zu dokumentieren. Dabei ist sich die Autorin dieser Arbeit gleichwohl bewusst, dass die filmische „Dokumentation“ der Nach- und Gegenrecherche durch das Verlesen eines Briefes oder das Anschellen an der Haustür eines Beschuldigten keinen hundertprozentigen Beweis für die erfolgte Gegenrecherche darstellen. Auch der verlesene Brief könnte im Sinne eines Michael Born eine Fälschung sein. Das Gros der Journalisten wird aber sicherlich um sachliche Richtigkeit bemüht sein, so dass in einer solchen Dokumentation journalistischen Handelns ein Indikator für das Bemühen um „Richtigkeit“ gesehen werden kann.  

 

Aus diesen Kriterien ergeben sich im folgenden die drei Indikatoren der Variable „Faktentreue“.  
Variable „Faktentreue“: Indikator(en):

-

Zuverlässigkeit der Tatsachenbehauptungen im Zusammenhang mit nicht gesicherten Informationen wurde durch Gegen- und Nachrecherche deutlich

-

Unbestätigte Informationen wurden kenntlich gemacht

-

Interviewte Personen sind unmittelbar auskunftsberechtigt

   

 

                                                 Diskussion der Dimension Richtigkeit

 

   

4.2.3 Die Variable „Ausgewogenheit“  

Vielfalt als Zielvorgabe der Qualitätsbewertung äußert sich in unter anderem in der Ausgewogenheit der Berichterstattung  

Die Forderungen nach „vielfältiger Berichterstattung“ geht laut Hagen (1995:37f.) zurück auf die öffentliche Aufgabe, die Medien zu erfüllen haben. Sie steht daher im Mittelpunkt der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Qualität. So erwähnt Schwarzkopf (1995:24) beispielsweise lobend die vielfältige Themendarstellung beim Sender ARTE, etwa durch die Themenabende. [Vergleiche zum Qualitätskriterium „Vielfalt“ auch die Texte von (Bruns:1997:138ff.), (Scheithauer:1995:29) und (Schatz/Schulz:1992:693).] Albert Scharf (1993:366f.) erläutert für den Bereich des Fernsehens die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes, um die vielfältigen Meinungen in möglichster Breite und Vollständigkeit im Rundfunk berücksichtigen zu können.

 

Meinungsvielfalt zeigt sich nach Schatz/Schulz (1992:693) anhand der inhaltlichen und strukturellen Vielfalt. Inhaltliche Vielfalt äußert sich in der Vielfalt der dargestellten Meinungen, Interessen und Themen. Strukturelle Vielfalt wird evident durch das Vorhandensein der verschiedenen informations- bzw. unterhaltungsbetonten Programmsparten, wie etwa Talk- und Spielshows, Wirtschaftsmagazinen, Reisedokumentationen oder politischen Informationssendungen. Die binnenpluralistische Strukturierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verpflichtet die einzelnen Sendeanstalten auf jeder ihrer Wellen, die Vielfalt der Meinungen und Informationen innerhalb der Gesellschaft zu reflektieren. Mit anderen Worten: Sie haben dem Grundversorgungsauftrag nachzukommen. Dafür ist die Zukunft der öffentlich-rechtlichen Anbieter trotz der Einführung der kommerziellen Programme laut Präambel des Rundfunkstaatsvertrages gesichert. Dagegen besteht bei dem außenpluralistischen Modell für den Veranstalter kein Zwang zur Ausgewogenheit; wohl aber ist er zu einem Mindestmaß an umfassender und sachgemäßer Information des Zuschauers verpflichtet.

 

Neuere Schriften zum Rundfunkrecht zeigen jedoch, dass viele Medienwissenschaftler die Gewährleistung des Grundversorgungsauftrages angesichts der Medienverflechtungen und der Reglungen im dritten Rundfunkstaatsvertrag gefährdet sehen. Auf diese Diskussion soll an dieser Stelle jedoch nicht näher eingegangen werden. [Vergleiche hierzu Jo Groebels „Bericht zur Lage des Fernsehens“ (Groebel:1994:28f.), Pätzolds und Röperts Artikel über „Maßnahmen der Vielfaltssicherung im Rundfunk“ (Pätzold/Röpert:1998:278fff.).]

 

Der Qualitätsforscher Hagen (1995a:125) merkt bei der Diskussion um die Vielfalt der Agenturberichte an, diese stünde in gewissem Sinne der ebenso geforderten Relevanz der Medieninhalte entgegen. Die Vielfalt von Themen, Meinungen und Personen, Organisationen oder Formaten stelle nämlich das Gegenteil der Relevanz dar, welche dazu diene, die Komplexität durch Selektion zu reduzieren. Deshalb hält Hagen die Forderung nach Vielfalt nur dort für angebracht, wo sich Sachverhalte in ihrer Relevanz nicht sicher vergleichen lassen oder wo sich keine intersubjektiven Ausgewogenheitskriterien angeben lassen. Ferner hält Hagen Vielfalt subsidiär zu Ausgewogenheit und Relevanz. Aus dem Gesagten müsste deutlich werden, warum Rager (1994:194) die Vielfalt als Zielvorgabe betrachtet, an dem Qualitätsmaßstäbe zu entwickeln sind, nicht jedoch als Qualitätsmaßstab selbst. Aus diesem Grund wird in den Filmberichten auch nicht die Variable „Vielfalt“ bewertet, sondern die Variable „Ausgewogenheit“.

 

Die Ausführungen Bruns (1997), Kamps (1998:41) und Hagens (1995a) demonstrieren dennoch die enge Beziehung von Ausgewogenheit und Meinungsvielfalt. Bruns (1997:138f.) bezieht sich auf das Bundesverfassungsgericht, welches inzwischen statt von „Vielfalt“ von „gleichgewichteter Vielfalt“ spricht, auch wenn es darunter nach Meinung Bruns´ keine strenge numerische Gleichverteilung versteht.

 Diskussion der Dimension Richtigkeit

 

 

Straßner (1982:80) betont im Hinblick auf die Ausgewogenheit Proporzgesichtspunkte beim Auftreten von Politikern und Parteien. Ein Politiker soll demnach nicht zu häufig erscheinen, eine Partei nicht bevorzugt werden. Daneben sollte Straßners Ansicht nach auch das Verhältnis von Inlands- und Auslandsmeldungen ungefähr stimmen. Das Ideal der ausgewogenen „neutralen“ Berichterstattung gebietet die Unabhängigkeit des Journalisten und verbietet demzufolge Praktiken wie etwa den Scheckbuchjournalismus (der Journalist bricht das Schweigen eines Informanten mit der Zahlung einer bestimmten Summe ). [Vergleiche hierzu: (Sturm:1998:141).]

 

Hagen (1995a:126) bezieht sich im Hinblick auf das Ideal der ausgewogenen Berichterstattung auf Vielfalts- und Konzentrationsstudien, bei denen die gleichmäßige Verteilung der vielfältigen Informationsquellen untersucht wurde. Eine Studie zur Vielfalt der dargestellten Meinungen in den Nachrichtensendungen führte unter anderem auch Bartel (1997:267) durch. Bei seiner Analyse im Jahr 1992 stellte Bartel fest, dass die öffentlich-rechtlichen Sender Regierungen und Parteien vergleichsweise gute Artikulations- Chancen bieten, während die privaten Anbieter häufig Experten und einfache Leute zu Wort kommen lassen.

 

Bezüglich einer Definition der Ausgewogenheit wird deutlich: Ausgewogenheit bedeutet, inhaltliche Einheiten in einem Verhältnis zu berücksichtigen, das als gerecht angesehen wird. [Vergleiche hierzu: (Hagen:1995:120) und (Schatz/Schulz:1992:703ff.).] Das könnte sich innerhalb eines Filmberichtes an der gleichmäßigen Berücksichtigung von Befürwortern und Gegnern in einer Kontroverse über politische Alternativen zeigen. Perfekte Ausgewogenheit zeigt sich Bruns (1997:139) zufolge bei einem Beitrag mit vier Akteuren daran, dass jeder der Akteure zu 25 Prozent berücksichtigt wird. Von fehlender Ausgewogenheit/ Vielfalt ist dagegen die Rede, wenn nur einer der Akteure zu Wort kommt.

 

Allerdings sind die Forderungen nach Ausgewogenheit nicht ganz unproblematisch, denn sie fördern innerhalb der Fernsehnachrichten laut Kamps (1998:41) die Polarisierung und Stereotypisierung von Konflikten. Straßner stellte aus diesem Grund auch eine antithetische Strukturierung fest (Straßner:1982:173). Zudem zeigen Stuart Hall (1989:141 –146) und Bruns (1997:21-26), dass es die Ausgewogenheit schlechthin im Hinblick auf die gleichproportionierte Präsentation aller gesellschaftlichen Gruppen im Fernsehen nicht gibt. Nach Hall (1989:146) wird es immer wieder Gruppen geben, die nicht zum Zentrum des Systems gehören und daher von den Medien trotz allen Strebens nach Ausgewogenheit nicht berücksichtigt würden. Jedoch seien Medien im Großen und Ganzen gewissenhaft und ausgewogen innerhalb ihrer Voreingenommenheit für eine parlamentarische Demokratie.

 

Bruns (1997:25f.) gibt zu bedenken, dass es bei der Vermittlung politischer Inhalte zu Verzerrungen und Asymmetrien kommen kann. Interessenvermittlung sei nicht objektivierbar , da die Medien jene Informationen publizierten, die von Institutionen mit spezifischem Eigeninteresse lanciert worden seien.

  

  

Zudem ist der gerade hier angedeutete Ruf nach paritätischer Ausgewogenheit Hagen (1995:121) zufolge umstritten, da er im Sinne eines Stimulus- Response Modells von der omnipotenten Wirksamkeit der gesendeten Medieninhalte ausgeht. [Vergleiche hierzu das Stimulus- Response- Modell in Abschnitt 2.2.1.] Demnach würden sich bestimmte Meinungen proportional zu ihrer Repräsentation in den Medien auch im Publikum ausbreiten. Gegen diese Annahme sprechen empirische Studien, die durch die Cultural Studies- Forschung belegten unterschiedlichen Dekodierungsarten (Hall:1989:140) sowie die Tatsache, dass das Stimulus- Response Modell und seine Wirkungsannahmen als veraltet gelten.  

 

Fazit der Diskussion für die Bewertung der Variablen „Ausgewogenheit“

Folglich vertreten Fischer (1995: 65f.) und Rager (1994:201) die Ansicht, die Qualität der Ausgewogenheit bedeute, zu benennen, dass Meinung gegen Meinung steht. In diesem Zusammenhang kritisiert Fischer (1995:66) Hagen (1995a:120) für seine Auffassung, inhaltliche Einheiten seien in einem proportionalen Verhältnis zu berücksichtigen, da bei nicht parteigebundenen Kontroversen ein Maß für Ausgewogenheit fehle. Für die Bestimmung journalistischer Qualität haben nach Fischer Ausgewogenheits- Analysen praktisch keinen Nutzen. Auch für Fischer ergibt sich die Qualität aus dem Bemühen der Journalisten um Ausgewogenheit; sie ist jedoch laut Fischer nicht am Zahlenverhältnis der abgedruckten „Pro- und Contra- Informationen“ bzw. „rechter“ und „linker“ Aussagen auszumachen, sondern an einer nach allen Seiten offenen Vermittlung von kritischen und kontroversen Standpunkten. Dieser Argumentation schließt sich die Autorin dieser Arbeit an.

 

So ist es als Anzeichen für Qualität zu werten, wenn ein Filmbericht, der ein Thema aufgreift und die Kontroversität implizit oder explizit äußert, das jeweils wichtigste Argument für oder gegen einen Sachverhalt/ eine Person nennt. Ein Beispiel für ein kontrovers diskutiertes Thema war das Verhalten Helmut Kohls im Januar 2000. Seine Weigerung, die Namen der Spender zu nennen, wurde innerhalb der Parteien kontrovers diskutiert. Altbundeskanzler Kohl gilt demnach hier in dieser Arbeit als „kontrovers diskutierte Person“. Ein Filmbericht, beziehungsweise die Anmoderation (die auch Hinweise auf die Kontroversität eines Sachverhaltes/ einer Person enthalten kann), sollte daher diese aktuelle Umstrittenheit der Person Kohl verdeutlichen. Dies gilt vor allem dann, wenn sich ein Aspekt des Filmberichtes auf die „Spendenaffäre der CDU“ bezieht. Die Berichte von ARD, Pro 7 und RTL zu den Klausurtagungen der Parteien am 6. Januar beziehen sich durchweg auf die Kontroversität der Person Kohl im Januar 2000. [Vergleiche hierzu unter Abschnitt 6.2 die Dokumentationsbeispiele 3 bis 5 für die Argumentation.]

 

 Diskussion der Dimension Richtigkeit

 

 

Nun berichten die Fernsehnachrichten auch über wissenschaftliche Entdeckungen oder über eine Umweltkatastrophe. In diesem Fall wird der Grad der Kontroversität äußerst gering sein. [Vergleiche hierzu auch unter Abschnitt 6.2 die Filmberichte von SAT 1 und dem ZDF über das Zugunglück in Norwegen, in denen die Kontroversität – und damit die Ausgewogenheit – eine geringe Rolle spielen.] Hier stellte sich anfänglich die Frage, wie mit solchen nicht- kontroversen Themen bei der Qualitätsbewertung umzugehen sei. Schließlich liegt es in der Eigenart dieser Themen, dass sie durch die ihnen fehlende Kontroversität der Qualitätsanforderung nach Ausgewogenheit entsprechen. Die Autorin entschied sich für folgende Vorgehensweise: Auch im Falle, dass ein Filmbericht keine Kontroverse thematisiert, gelten die Indikatoren der Variable „Ausgewogenheit“ als erfüllt, da der Filmbeitrag nicht gegen die Ausgewogenheits- Grundsätze verstößt.

 

Damit gilt für Themen/ Personen, die in der Vergangenheit oder Gegenwart kontrovers diskutiert wurden oder werden: Ein Filmbericht, der sich auf die Kontroversität einer Person/ eines Sachverhaltes bezieht, gilt als ausgewogen, wenn aus ihm hervorgeht, dass ein Thema/ eine Person kontrovers diskutiert wird/ wurde. Bei strittigen Fragen sollte in diesem Fall das jeweils wichtigste Argument für oder gegen einen Sachverhalt genannt werden. Filmberichte, die sich nicht auf kontroverse Sachverhalte/ Personen beziehen, erfüllen ebenso die Forderung nach Ausgewogenheit.  

 

 Variable „Ausgewogenheit“: Indikator(en)  

-

Filmbericht enthält implizit die Aussage: Thema wird kontrovers diskutiert  

-

Das jeweils wichtigste Argument für oder gegen einen Sachverhalt/ eine Person wird genannt  

  

 

                                                    Diskussion der Dimension Richtigkeit 

 

4.2.4  Die Qualitätsvariable „Vollständigkeit“

„Sei informativ“ lautet die kommunikationswissenschaftliche Maxime, mit der sich Straßner (1982:66f.) auf die Vollständigkeit bezieht. Demnach sollen die Nachrichten alle bekannten Ursachen, Hintergründe und Folgen mitteilen. Vollständigkeit der Nachrichten sehen unter anderem auch Haller (1995:93) und Wember (1976:149) als wünschenswerte Charakteristika der Fernsehnachrichten. Die kommunikationswissenschaftliche Maxime der Informativität verlangt weiterhin von den Nachrichtenredakteuren, auch Sachverhalte mitzuteilen, die komplexe Problemzusammenhänge haben. Das gilt auch für nicht oder schwer zu visualisierende Sachverhalte, die trotz ihrer schwierigen Visualisierbarkeit vermittelt werden sollten. Hier bietet sich der Einsatz von Trickfilm an.

Die Forderung nach Vollständigkeit und umfassender Information deckt sich mit den Zuschauererwartungen, die Straßner (1982:391) ermittelte. Danach wünschten sich die 1974 befragten Studierenden der Universität Tübingen umfassendere Nachrichten und kritisierten deren Oberflächlichkeit.

 

Die tägliche Praxis der Fernsehnachrichten scheint der Qualitätsanforderung der Vollständigkeit, allerdings nur auf den ersten Blick, zu widersprechen. So stellt Bruns (1997:129) fest, dass die Filmberichte im Zeitraum von 1986 bis 1994 durchschnittlich 20 Sekunden kürzer geworden sind. Betrugen sie 1986 noch 90 Sekunden, so währten sie 1994 im Schnitt nur noch 72 Sekunden. Ferner analysiert Bruns, dass die Filmberichte der Privatsender im Schnitt kürzer sind als die der öffentlich-rechtlichen Sender. Zudem vertritt Straßner (1982:154) nach Durchsicht des Agenturmaterials die Ansicht, die Redakteure seien mit der täglichen Fülle an Information schlichtweg überfordert, was eine bruchstückhafte Berichterstattung zur Folge habe. Damit bezieht sich Straßner auf den bereits durch Postman geäußerten Vorwurf, die Nachrichten zeigten eine „Scheibchenwelt“ [vergleiche hierzu Abschnitt 3.2.1.1, der dort bereits diskutiert wurde.]

 

In diesem Zusammenhang wurde verdeutlicht, dass die Nachrichten einen Überblickscharakter aufweisen und dem Zuschauer einen Anreiz zur Vertiefung der Nachricht geben sollen – beispielsweise mittels einer Magazinsendung oder der Zeitungslektüre. Gleichzeitig wurde deutlich, dass eine Nachricht in der Regel die wichtigsten Informationen enthält, die der Zuschauer über einen Sachverhalt wissen muss. Die Nachrichten sind also vollständig in dem Sinne, dass sie die grundlegenden journalistischen W- Fragen zum Ort (WO), zu den beteiligten Personen (WER), zum Zeitpunkt (WANN) und zum Geschehen (WAS) beantworten. Ein weiteres Argument gegen die von Straßner bzw. Postman geäußerte Bruchstückhaftigkeit der Nachrichten liefert der Nachrichtenredakteur Abend (1975:188). Er vertritt die Ansicht, dass nur jene Zuschauer einen Eindruck einer „Scheibchenwelt“ gewinnen, welche sich sporadisch informieren. Wer jedoch in nicht zu großen Abständen das Informationsangebot nutze, werde diese „Scheibchen“ in das Ganze einordnen können.

 

Die Vollständigkeit der Nachrichten im Sinne der eben beschriebenen journalistischen W- Fragen findet auch immer wieder Erwähnung in fernsehjournalistischen Lehrbüchern. So lautet die Handlungsanweisung an die Film- und Fernsehstudenten Don´t try to write everything there is to say about a person or an event or an idea (Fang:1980:29). Und das fernsehjournalistische Lehrwerk von Schult (1993:128) präsentiert sechs journalistische W-Fragen (Wer?, Wo?, Was?, Wann?, Wie?, Warum?), die in einem Filmbericht beantwortet werden sollen. Dabei beweist die Praxis, dass die in den Lehrbüchern gestellten Ansprüche umgesetzt werden. Das zeigen die Ausführungen Straßners (1982:69), Huhs (1996:118) und Bruns´ (1997:255), der bei seiner Analyse der Nachrichtensprache von ARD, ZDF, RTL und SAT 1 keine wesentlichen Veränderungen feststellen konnte.  

 

 

Noch immer gelte es, die fünf journalistischen W- Fragen (Wer?, Wann?, Was?, Wo?, Warum?) zu beantworten, wobei die Reihenfolge keinen festen Regeln unterworfen sei. Hier wird deutlich, dass die tägliche Praxis der Fernsehnachrichten doch der Qualitätsanforderung der Vollständigkeit entspricht, allerdings erst auf den zweiten Blick. Vollständigkeit im Sinne der 4 W- Fragen (WER; WO; WAS; WANN) weisen auch die aufgezeichneten Argumentationsbeispiele auf, die in Abschnitt 6.2 zu finden sind. So beantworten alle fünf Filmberichte die Fragen des Zuschauers zum Sachverhalt, dem Zeitpunkt des Geschehens, dem Ort sowie den beteiligten Personen.  

 

Fazit der Diskussion für die Bewertung der Variablen „Vollständigkeit“

Innerhalb der Qualitätsdiskussion gilt Vollständigkeit als Qualitätsmerkmal. McQuail (1992:210) kennt drei Arten der Vollständigkeit, darunter die der „internal completeness“, welche sich durch das Vorhandensein aller wesentlichen Fakten innerhalb einer Geschichte auszeichnet. Auch andere Qualitätsforscher ziehen die Beantwortung der W- Fragen als Qualitätsmaßstab heran. [Vergleiche hierzu: (Berdi:1992:38f.), (Schröter:1992:44), (Fischer:1995:59), (McQuail:1992:210).] Wie bereits erläutert, sieht Rager (1994:201) in der Beantwortung der W- Fragen ein Hilfsprogramm für die Herstellung der Vollständigkeit und damit zur Richtigkeit des Textes. Nach Ragers Überlegungen garantiert die Beantwortung der W- Fragen, dass keine Information versehentlich vergessen wurde.

 

Die Forderung nach Vollständigkeit verbinden Hagen (1995b:162) und Fischer (1995:76) mit der Unterdimension „Interne Relevanz“, auf die im Abschnitt 4.3.5 nochmals eingegangen werden soll. Die Auflistung der W- Fragen zur Sicherstellung der Vollständigkeit erscheint Hagen (1995b:162) noch nicht vollständig genug. Ursachen, Gründe, Prognosen, Bewertungen, Umstände, Vorereignisse und Lösungen werden laut Hagen ausgeblendet. Weiterhin führt Hagen (1995b: 166) eine Studie von Olle Findahl und Brigitta Höijer an, welche die bruchstückhafte und unvollständige Erinnerungsleistung von Nachrichtenrezipienten untersuchten. Findahl und Höijer (1985:385) führen das bruchstückhafte Erinnerungsvermögen der Rezipienten darauf zurück, dass Nachrichten auf Ursachen üblicherweise selten eingehen. Im Unterschied dazu belegen Rezipientenstudien jedoch, dass kausale und finale Verknüpfungen besonders wichtig sind, um Informationen zu verstehen und dauerhaft erinnern zu können.

 

Hagen (1995b:169) nimmt diese Studie zum Anlass, bei der Nachrichtenvermittlung jene Agenturartikel als qualitativ hochwertiger einzustufen, die unter anderem auch über die Ursachen (WARUM?), Alternativen (WAS SONST?) und Folgen (WAS SPÄTER?) eines Ereignisses Auskunft geben. Im Prinzip stellen die Vollständigkeitsfaktoren der „internen Relevanz“, wie Fischer und Hagen sie verstehen, einen erweiterten Katalog der W- Fragen dar. In der einleitenden Passage wurde bereits dargestellt, dass die Beantwortung der W- Fragen – wie im Printjournalismus auch - für die Fernsehnachrichten von großer Bedeutung bezüglich der Qualitätsvariablen „Vollständigkeit“ ist.

 

Daher wird die Beantwortung der vier W- Fragen (Wo, Was, Wer, Wann) als Mindeststandard vorausgesetzt. Auf diese Fragen muß der Filmbericht, beziehungsweise die einleitende Anmoderation, welche in der Regel die  „Vorabinformationen“ zum Beitrag enthält, eine Antwort bereithalten. Entspricht ein Filmbeitrag dieser Forderung, erhält er 4 Punkte. Zusätzlich kann der zu bewertende Beitrag weitere Punkte bekommen, wenn er die Fragen des Zuschauers nach den Ursachen (WARUM?) oder den Umständen/dem Ablauf (WIE?) beantwortet. In diesem Fall werden 5 Punkte vergeben. Äußert ein Beitrag sich außerdem noch zu möglichen Alternativen (WAS SONST?), erhält der Beitrag 6 Punkte. Im Falle, dass der Beitrag keine oder nur drei der vier W- Fragen (Wo, Was, Wer, Wann) beantwortet, erhält er 0 Punkte innerhalb der Variablen „Vollständigkeit“. Zunächst sollten auch die von Hagen (1995b:169) thematisierten Folgen (WAS SPÄTER?) innerhalb der Variablen „Vollständigkeit“ gewertet werden. Die Folgen eines Ereignisses werden jedoch innerhalb der Dimension Relevanz gewertet – und zwar innerhalb der Qualitätsvariablen Irrevisibilität. [Vergleiche hierzu Abschnitt 4.3.2.4.]  

 

Variable „Vollständigkeit“: Indikator(en)  

-

Wo, Was, Wer, Wann- Fragen werden beantwortet 

-

Zusätzlich erhält der Zuschauer eine Antwort auf die Umstände, Ursachen und Alternativen

Diskussion der Dimension Richtigkeit 

4.2.5 Die Qualitätsvariable „Quellentransparenz“

Gregor Halff (1998:128) ist der Auffassung, der Fall des Filmfälschers Michael Born habe dazu geführt, dass die Medien um ihrer Glaubwürdigkeit willen verstärkt die Konstruktion von Medienrealität offenlegen. Medien seien um eine größere Transparenz bemüht. Dabei geht der Begriff der journalistischen Quelle laut Bentele (1982:136) über den des Agenturmaterials hinaus. Quellen sind alle Produzenten von Informationen – oder Informationen selbst, die hinreichend verlässlich sind.

 

Straßner (1982:58) forderte Quellentransparenz bereits ein Jahrzehnt zuvor, indem er schrieb, es müsse in den Beiträgen Hinweise geben, woher die Information stamme, wo die Bilder aufgenommen wurden und unter welchen Umständen. Lobend erwähnt der Autor (Straßner:1982:67f.) die schweizerische Ausgabe der „Tagesschau“, die Anfang der achtziger Jahre sporadisch auf die Quellenlage und -sicherheit einging. In diesem Zusammenhang klärte der Moderator die Zuschauer über die Unsicherheiten auf, mit denen die Redaktion bezüglich der Quellenlage bei der Nachrichtenproduktion zu kämpfen hatte.

  

  

Darüber hinaus nehmen sich fernsehjournalistische Lehrwerke des Themas „Quellentransparenz“ an, so etwa Fang (1980:36), der an die jungen Fernsehjournalisten appelliert, sie möchten die Aussagen der Aussagequelle zuordnen. Sowohl Fang als auch Sturm (1998:139f.) warnen die Film- und Fernsehstudenten davor, vertrauliche Informationen unter dem Hinweis auf „zuverlässige Quellen“ an die Öffentlichkeit weiterzugeben. Entgegen dieses Ratschlags empfiehlt jedoch der Deutsche Presserat (1997:13), den Wunsch des Informanten nach Vertraulichkeit zu respektieren, sofern die Information nicht ein Verbrechen betrifft.

 

Der Deutsche Presserat fordert jedoch die Quellenangabe für Pressemitteilungen, die nicht redaktionell bearbeitet wurden (Dtsch. Presserat:1997:41). Daraus leitet Berdi (1992:41) ab, dass Pressemitteilungen, die von Behörden, Parteien, Verbänden, Vereinen und anderen Interessenverbänden herausgegeben werden, als „Pressemitteilung der Quelle X“ kenntlich gemacht werden müssen. Berdi stuft die Quellenangabe als wesentlich für die Rezipienten ein, können sie doch durch die Nennung des Informationsgebers die Interessenlage, Glaubwürdigkeit und Relevanz der Information ableiten. In der täglichen Nachrichtenpraxis scheint die Quellentransparenz nach Meinung Straßners (1982:69) gänzlich zu fehlen. Speziell Korrespondenten hätten die Möglichkeit, ihre offiziellen Quellen und Informanten zu nennen. Viele Korrespondenten scheuten jedoch die Namenspreisgabe aus Angst, in künftigen Fällen keine „Tipps“ und Informationen mitgeteilt zu bekommen. Im Falle, das der Informant als interviewte Person auftritt, wird üblicherweise sein Name, und seine politische Gruppenzugehörigkeit durch die Schrifteinblendung (Insert) sichtbar, was der Quellentransparenz dient.

 

Die Quellentransparenz zeigt sich jedoch nicht nur bei der Namensnennung von Personen; sie bezieht sich auch auf die Quellen der Filmberichterstattung selbst. Huh (1996:57fff.) zufolge entstammt das Filmmaterial der deutschen Nachrichtenanbieter dem jeweiligen Korrespondentennetz der Sender, der Eurovision, der European News Exchange, den fernsehnachrichtlichen Agenturen Reuters TV, WTN, APTV sowie dem Angebot des Nachrichtensenders CNN. Bezüglich des printbezogenen Agenturmaterials macht es laut Schröter (1992:48f.) einen Unterschied, ob eine Meldung von einer staatlich kontrollierten Nachrichtenagentur stammt (wie ehedem der TASS), oder von einer Nachrichtenagentur, die in einem demokratischen Land ansässig ist. Der Rezipient wird eine Meldung einer Nachrichtenagentur, die in einem Land beheimatet ist, in der eine Diktatur die Pressefreiheit einschränkt oder unterbindet, wahrscheinlich für weniger glaubwürdig halten, als eine Meldung, die von einer Nachrichtenagentur eines demokratischen Landes stammt. Huh (1996:106f.) verweist darauf, dass es übliche Redakteurspraxis sei, Korrespondentenmaterial mit Fremdmaterial zu kombinieren.

 

 

Hagen (1999:131) erwähnt in diesem Kontext, dass unter Umständen auch Spielfilm- und Archivmaterial ohne Kennzeichnung in nachrichtlichen Filmberichten Verwendung fänden. So habe zum Beispiel das „heute-journal“ (ZDF) aus Anlaß der Havarie des Passagierschiffes „Achille Lauro“ am 30.11.1994 Spielfilmszenen verwendet, die Jahre zuvor auf dem Schiff gedreht wurden. Hagen (1999:131), Straßner (1982:178) und Stirnberg (1998:150f.) bemängeln, dass diese redaktionelle Praxis es dem Zuschauer unmöglich macht, zu erkennen, woher das einzelne Filmmaterial stamme.

   

Fazit der Diskussion für die Bewertung der Variable „Quellentransparenz“

Die vorangehende Diskussion zeigte, dass es als Zeichen für Qualität gilt, wenn der Rezipient die Möglichkeit behält, die Quellen der gegebenen Informationen zu beurteilen und gegebenenfalls miteinander zu vergleichen. Daraus kann er auf die Zuverlässigkeit des mitgeteilten Inhalts schließen.

 

Alle Informationen bis auf Grundwahrheiten (z.B. die Erde ist rund, Wasser gefriert bei 0 Grad) sollten folglich auch den im Filmbericht genannten Personen und Institutionen (diese nennt man „Quellen“) zuzuordnen sein. Ferner sollte der Filmbeitrag als Produkt der „Sendeanstalt XY“ und des „Autors XY“ gekennzeichnet sein. Diese Namensnennungen sind unverzichtbarer Bestandteil der Quellentransparenz. Die Quellenidentifikation und die Nennung des Filmautors /der Sendeanstalt wird als Mindestkriterium für Quellentransparenz vorausgesetzt. Wiederum fließt die Anmoderation mit in die Qualitätsbewertung ein. So ergab die Analyse der Beiträge zu den Klausurtagungen der Parteien zum 6. Januar sowie die Berichterstattung über das Zugunglück in Norwegen (vergleiche Abschnitt 6.2), dass Pro 7 und RTL die Namen der Beitragsautoren grundsätzlich in der Anmoderation nennen.

 

Die Diskussion um die Kennzeichnung von Fremd-, Archiv- und Spielfilmmaterial zeigte, dass die damit verbundene Kenntlichmachung des Äußerungsanlasses dem Zuschauer einen Hinweis auf die Aktualität und die Glaubwürdigkeit der Bildinformationen gibt. Daher wird die Kennzeichnung des Äußerungsanlasses als Qualitätskriterium betrachtet, welches in die Qualitätsbewertung der Quellentransparenz einfließt – jedoch nicht als Ausschlusskriterium. Bei den Beobachtungen der Filmberichte zur Konzeption des Qualitäts- Bewertungsbogens war festzustellen, dass Fremd-, Archiv-, und Spielfilmmaterial nur sehr selten als solches gekennzeichnet wurde. [Nach dem Wissenstand der Autorin besteht zum Beispiel der Nachrichtensender CNN auf die Kennzeichnung seines Materials.] Im Falle, dass die Nennung des Äußerungsanlasses jedoch als Ausschlußkriterium fungierte, würde ein Großteil der nachrichtlichen Filmberichte die Qualitätsvariable „Quellentransparenz“ nicht erfüllen. Daher wird die Nennung des Äußerungsanlasses als zusätzliches Qualitätskriterium gewertet.    

 

Variable „Quellentransparenz“: Indikator(en)  
-

Alle Informationen bis auf Grundwahrheiten sind den genannten Quellen zuzuordnen, wobei der Name, Funktion, und gegebenenfalls die (politische) Gruppenzugehörigkeit der jeweiligen Quelle mitgeteilt wird.  

- Der Filmbeitrag ist als Produkt der Sendeanstalt XY und des Autors XY gekennzeichnet  
-

Fremd-, Spielfilm-, und Archivmaterial innerhalb des Filmbeitrages ist als solches gekennzeichnet  

Diskussion der Dimension Richtigkeit 

4.2.6 Gewichtung und Gesamtbewertung der Dimension Richtigkeit

Die Befragung von Weber und Rager (1994:3f.) ergab, dass sachliche Richtigkeit bei den Journalisten die höchste Wertschätzung genießt. Die Mehrzahl der befragten Journalisten sagte aus, es solle frei von sachlichen Fehlern und logischen Widersprüchen berichtet werden – und zwar mittels gründlicher Recherche und des „Gegenlesens“, das in vielen Lokalredaktionen übliche Praxis ist. Laut Huh (1996:52) findet eine ähnliche Endkontrolle auch bei den Nachrichtenredaktionen des Fernsehens statt. Ganz oben in der Bemessung standen bei den Journalisten Kriterien, die mit Richtigkeit zusammenhängen: „Glaubwürdigkeit“ oder „Seriösität“, ebenso wie „Informationsfülle“ und „Themenvielfalt“. Diese Antworten zielen auf ein Qualitätsbewußtsein, wie es in den vorhin untersuchten Qualitätsvariablen „Faktentreue“ und „Ausgewogenheit“ erläutert wurde. Mit der Vollständigkeit als Bestandteil der Dimension Richtigkeit nahmen es die befragten 101 Journalisten jedoch nicht so genau (Weber/Rager: 1994:5). Nur 65 Prozent von ihnen meinten, dass in einem guten Artikel alle W- Fragen beantwortet werden müssten. Weber und Rager sehen hier die Dimension Aktualität im Widerstreit mit der Dimension Richtigkeit (Weber, Rager:1994:6), da Journalisten eher dazu tendierten, einen Artikel der Aktualität willen „schnell“ noch zu veröffentlichen, um weitere Informationen dann in der nächsten Ausgabe „nachzuschieben“. Damit schneidet die Vollständigkeit als geradezu klassisches Qualitätsmerkmal der Dimension Richtigkeit relativ schlecht ab.

 

In Bezug auf die Variable Quellentransparenz meinten 69 Prozent der Befragten, in einem guten Artikel müssten sämtliche Quellen genannt sein. Weber und Rager nehmen an, dass diese verhältnismäßig geringe Prozentzahl unter Umständen mit der Einsicht zusammenhängt, dass in bestimmten Situationen die Informanten zu schützen seien.

 

Die Autorin der Arbeit hält es für gerechtfertigt, dass der Filmbericht für jede erfüllte Qualitätsvariable innerhalb der Dimension Richtigkeit 4 Punkte bekommt. Dabei zeigt sich die Bedeutung der Dimension Richtigkeit bei einem Filmbericht, der sachlich falsche Informationen enthält. Das kann für die Person, über die eine unwahre Tatsache verbreitet wurde, äußerst unangenehme Folgen haben. So etwa im Falle eines Politikers, dem in einem Filmbericht vorgeworfen wird, er habe einem Bauprojekt aufgrund der Zahlung von „Schmiergeldern“ zugestimmt. Selbst wenn sich später herausstellen sollte, dass dieser Politiker zu Unrecht beschuldigt wurde, nimmt seine „Karriere“ kurz- wenn nicht sogar langfristig durch diesen Filmbericht Schaden. Zudem zeigte die obige Diskussion, dass die Dimension Richtigkeit sowohl bei Medientheoretikern als auch bei Journalisten höchste Wertschätzung genießt. Darüber hinaus dürfte es aufgrund der Bedeutung der Dimension Richtigkeit eine sinnvolle Maßnahme sein, dass bei Nichterfüllung einer Qualitätsvariablen der Dimension Richtigkeit, die Punktzahl, die der Filmbeitrag in den anderen Qualitätsvariablen innerhalb der Dimension Richtigkeit erreicht, halbiert wird. Weiterhin erhält der Filmbeitrag in der nicht erfüllten Qualitätsvariablen 0 Punkte. [Vergleiche hierzu den Codierbogen unter Abschnitt 4.5.] Dazu ein Beispiel: Im Fall, dass weder der Filmbeitrag noch der Moderator in der Anmoderation den Namen des Beitragsautors nennen, erhält der Filmbeitrag in der Qualitätsvariablen „Quellentransparenz“ 0 Punkte. Darüber hinaus wird die Punktzahl, die ihm in den Qualitätsvariablen „Faktentreue“, „Ausgewogenheit“ und „Vollständigkeit“ zustünde, halbiert. Erfüllt ein Filmbeitrag dagegen alle Qualitätsvariablen innerhalb der Dimension Richtigkeit, kann er bis zu 19 Punkten erreichen.  

 

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